EIN GANZ BESONDERER MOMENT

Es gibt Traditionsveranstaltungen, bei denen man sich wünscht, es möge sich endlich etwas ändern am eingespielten Ablauf. Denen ein wenig frischer Wind und ein paar neue Ideen gut täten. Der ADAC Truck Grand Prix auf dem Nürburgring gehört sicher nicht dazu. Was wäre der zum Beispiel ohne das Feuerwerk am Samstagabend in der gut besuchten Müllenbachschleife? Das Spektakel am nächtlichen Himmel war in diesem Jahr gewissermaßen ein Sinnbild für das, was in den letzten 36 Monaten passiert ist: Zweimal ist der Truck Grand Prix ausgefallen, zuerst wegen Corona und dann, im vergangenen Jahr, als die Teams mit ihren Renntrucks schon angereist waren, wegen der Flutkatastrophe. Als die Absage am Donnerstagmittag kam, war nur ein Bruchteil des Dramas erkennbar, das sich in der Region abspielte. Insofern war die schnelle Reaktion eine weise Entscheidung, alles andere hätte zu einem unvorstellbaren Chaos geführt.

Zurück zum Feuerwerk – es war eines der schönsten seit langem und damit auch ein Ausdruck der großen Erleichterung, dass es 2022 endlich wieder geklappt hat mit dem Truck Grand Prix. Was nicht nur für die Organisatoren gilt, auch die Rennteams und die Besucher zeigten sich erleichtert, dass die größte Veranstaltung im Jahreszyklus diesmal reibungslos über die Bühne ging. Dazu passte der Slogan, den die Organisatoren für das Finale gewählt hatten, perfekt: „Ihr seid wieder da!“ stand in brennenden Buchstaben über der Müllenbachschleife, die wie gehabt gut gefüllt mit Trucks und Besuchern war. 

Den Slogan darf man – abgesehen von den Racern - in erster Linie auf die Fans der Veranstaltung beziehen. Denn die großen Truckhersteller waren nicht gekommen, mit einer Ausnahme: Iveco zeigte auch am Ring Flagge und war mit einigen Exponaten und einem Hospitality-Zelt vertreten.

Die Absage von MAN, Mercedes &Co. ist ausschließlich dem Spardiktat bzw. den aktuellen Problemen in der Produktion geschuldet, keineswegs moralischen Fragen. Dass die Besucher gedankenlos zum großen Truckerfest in die Eifel gekommen waren, kann man ihnen nicht unterstellen. Es wurde immer wieder einmal diskutiert, ob es denn vertretbar sei, zu einer derartigen Veranstaltung zu kommen, wenn einige hundert Kilometer entfernt in Europa ein unerbittlicher Krieg tobt. Von uns Journalisten wird in schöner Regelmäßigkeit erwartet, „objektiv“ zu berichten. Doch Moral und Objektivität passen meist schlecht zusammen. Der Verfasser dieser Zeilen ist jedenfalls der Ansicht, dass die Menschen auch Anlass zur Freude brauchen und gerne einige Stunden oder Tage lang die Zumutungen vergessen dürfen, die momentan auf sie einprasseln. Im besten Fall kann man so Kraft tanken – alle Volks- und Schützenfeste oder eben einen Truck Grand Prix zu stornieren, würde der Welt mit Sicherheit auch nicht weiterhelfen.

Zurück zu den Lkw-Herstellern: Sind die am Ring präsent, sorgen sie auch für den Absatz gewisser Ticket-Kontingente. Die fehlten folglich in diesem Jahr, doch die Organisatoren der Veranstaltung zeigten sich trotzdem zufrieden: Die Online-Bestellungen von Eintrittskarten der unterschiedlichen Kategorien hatten im Vorfeld merklich angezogen und letztlich waren angesichts der Rahmenbedingungen knapp 100.000 Besucher an den drei „offiziellen“ Tagen ein gutes Ergebnis.

Das Rennen auf der berühmtesten Rennstrecke Deutschlands beginnt ja schon einen Tag früher, auch der „Mitfahrtag“ (der Donnerstag) gehört inzwischen zum festen Programm. Es gibt Spezialtickets, bei denen eine Taxifahrt auf dem Beifahrersitz eines Racetrucks inkludiert ist. Hört man sich in der Warteschlange unter den in orange Overalls eingekleideten Aspiranten um, scheint so ein Ticket ein häufiges Geschenk zu sein. Für Rennsportfans an Weihnachten sicher passender als warme Socken oder eine Schachtel Likörpralinen. Wenngleich einigen Damen oder Herren nach dem absolvierten Abenteuer ein „Beruhigungsschnaps“ sicher gutgetan hätte, zumindest der bleichen Gesichtsfarbe nach zu urteilen. Es ist eben ein besonderes Erlebnis, die Urgewalt der Rennlaster live zu erleben und von einem der Fahrer um die Kurven chauffiert zu werden. Vielleicht auch von einer Fahrerin am Volant: Steffi Halms Team Schwabentruck hatte ihr für den Truck Grand Prix eine Kollegin organisiert. Die junge finnische Motorsportlerin Emma Mäkinen (ihr Vater Mika fuhr auch schon einige Jahre in der EM) pilotierte den zweiten Schwabentruck-Iveco mit der Startnummer 28. 

Auf der Rennstrecke zeigten sich letztlich drei Aspekte: Im Motorsport kann vieles passieren (zugegeben eine uralte Binsenweisheit), dem amtierenden Europameister Norbert Kiss kann im Augenblick niemand folgen und die Leistungsdichte hinter dem roten MAN des Ungarn ist enorm dicht. Der Reihe nach.

Passieren kann zu Beispiel, dass Kiss die Trainingszeiten gestrichen werden, weil die Kommissare mangelhaftes Abgasverhalten monieren. Was in dem Fall den Weg frei machte für den Lokalmatador Jochen Hahn. Im Qualifying kommt der Rekordeuropameister derzeit nicht einmal in die Nähe der Rundenzeiten von Kiss. Doch wenn der alte Fuchs aus Altensteig die Pole Position ergattert, weil der Konkurrent bestraft wurde, reicht seine Erfahrung immer noch aus, um die Verfolgermeute (wenn auch knapp) auf Distanz zu halten. Hahn gewann das zweite Championshiprace vor den drei MAN-Recken Sascha Lenz, Antonio Albacete und Norbert Kiss.

Zunächst hatte es ja nach einem weiteren Durchmarsch des Ungarn ausgesehen, der sich in der Runde zuvor auf dem Slovakiaring drei von vier möglichen Siegen und einen zweiten Platz geholt hatte. Das erste Championshiprennen war eine klare Sache für den aktuellen Dominator, schon nach einer Runde hatte er einen ansehnlichen Vorsprung vor dem Rest des Feldes. Zweiter wurde Adam Lacko, der sich damit ein wenig für das enttäuschende Wochenende in der Slowakei entschädigte, vor Hahn. Kiss schrammte dann zum Abschluss des Wochenendes in der Eifel im Race 4 an einem weiteren Sieg knapp vorbei, eine Runde mehr, und er hätte den führenden Jamie Anderson sicher auch noch geschnappt. Doch so konnte sich der Brite, der schon einige Jahre in der ETRC fährt, über seinen ersten Sieg in einem Championshiprennen freuen.

Zurück zu den Unwägbarkeiten des Motorsports, in der Aufzählung der Rennen fehlt ja noch das Ergebnis des zweiten Laufs am späten Samstagnachmittag. Als die Fahrer nach zwölf Runden mit der karierten Flagge abgewunken wurden, schoss der Iveco in den Farben des Teams Hahn Racing als erster über die Ziellinie. Aber es war nicht der Truck mit der Startnummer 4, sondern der mit der 22 – sensationell hatte Lukas Hahn den Lauf gewonnen. Der Youngster fährt nach der Formel „Race by Race“ und bestritt beim Truck Grand Prix seinen ersten Einsatz in diesem Jahr. Dem Sieg folgte ein ganz besonderer Moment, wie man ihn selten erlebt: Der Erfolg des Sohnes überwältigte Jochen Hahn. Die Emotionen der Truckracer sieht man immer wieder einmal, doch nach diesem denkwürdigen Lauf musste der Sohn den von seinen Gefühlen überwältigten Vater in den Arm nehmen. Ein schönes Bild für die Ewigkeit.

"WIEDER DA": DER NÜRBURGRING 2022 IN BILDERN

Nach drei Jahren Pause: Ein fulminanter Truck Grand Prix