DAS LAND, IN DEM DIE TRUCKS KEINE BETTEN HABEN

Trucker in Kolumbien dürfen arbeiten, so lange sie wollen, sie schlafen im Hotel und sind oft mit uralten Fahrzeugen unterwegs. Ein halber Bremsbelag ist kein Problem, so lange die Motorbremse noch funktioniert. Ein Bericht aus einem Land, das seinen Frieden sucht.

Wenn in den letzten Jahren in europäischen Medien von Kolumbien die Rede war, ging es meist um Kokain, Drogenkartelle oder den Bürgerkrieg in dem Land, der inzwischen den traurigen Weltrekord als „längster bewaffneter Konflikt“ für sich verbuchen kann. Erst gegen Ende des Jahres 2016 machte das lateinamerikanische Land positive Schlagzeilen. Der Bürgerkrieg wurde mit einer Waffenruhe zwischen Regierung und der größten Rebellengruppe FARC eingedämmt, wenig später wurde der amtierende Präsident Juan Manuel Santos wegen seines Engagements mit dem prestigeträchtigen Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Ernüchterung folgte kurz darauf, als die Bevölkerung in einem Referendum den Friedensvertrag ablehnte. Im Alltag ist davon erstaunlich wenig sichtbar. Als Reporter erinnert man sich an Schottland, wo wenige Wochen nach der leidenschaftlichen Abstimmung über die Abspaltung vom Vereinigten Königreich Plakate und Sticker mit den Schlagworten „Yes“ beziehungsweise „No“ noch allgegenwärtig waren. Banner wie das am Ortsrand von San Jacinto in der Provinz Bolivar sind eine Seltenheit. „Wir sagen ja zum Frieden“ steht darauf.

 

Vielleicht lag das No des Volkes daran, dass die meisten Kolumbianer zwar kriegsmüde sind, aber dagegen waren, dass die Guerrilleros de facto straffrei ausgehen sollten und sich daher für Nachverhandlungen aussprachen (die überraschend schnell zu einem neuen Vertrag führten). Das der Frieden hält, ist den Kolumbianern zu wünschen. Denn das Land hätte einen friedlichen Neuanfang bitter und vor allem schnell nötig. Denn der Bürgerkrieg bindet viele Kräfte und ökonomische Ressourcen. Auf der anderen Seite finanzierten die Rebellen ihren Krieg durch Geschäfte mit der Drogenmafia (oder sind Teil derselben), und um diese Schattenwirtschaft langfristig in eine nachhaltige und nichtkriminelle Ökonomie zu überführen, sind gewaltige Anstrengungen seitens der Regierung notwendig, mit denen zunächst die enormen sozialen Unterschiede und die Perspektivlosigkeit eines Teils der Bevölkerung überwunden werden müssten.

Mag sein, dass man nicht über Leute wie den Autowäscher an der Autopista 25 urteilen sollte, ohne ihn näher zu kennen. Aber einen glücklichen Eindruck macht der halbnackte Mann sicher nicht. Er wäscht für ein paar Pesos Autos und Trucks, das Wasser zapft er aus dem Bergbach, der sich wenige Meter neben der Straße über eine Kaskade in die Tiefe stürzt und dort ein Becken füllt, in das der Lavadero seine Pumpe gehängt hat. Er lebt hier, in einer Art Höhle neben der Fahrbahn. Seine Frau liegt in der Hängematte und verdämmert den Tag oder blinzelt hinüber zu ihrem Mann, wenn der einen der seltenen Kunden bedient. Die Kunden wiederum stehen deutlich höher in der gesellschaftlichen Hierarchie: Wer Arbeit als Trucker findet, hat zwar einen harten Job, kommt aber üblicherweise gut zurecht. Wobei man das Fahrzeug nicht als Maßstab für die Qualität des Berufs nehmen darf – auch mit einem Oldtimer lässt sich in Kolumbien noch gutes Geld verdienen. Der Besitzer eines schwarzen Mack-Haubers, der 1978 zusammengeschraubt wurde, meint zum Beispiel, vor einigen Jahren seien die Geschäfte schlecht gegangen, jetzt laufe es dagegen wieder prächtig und sein Laster sei trotz seines Alters bestens in Form. Sein Kollege Juan stößt in das gleiche Horn: „Der ist wenigstens schon bezahlt,“ lacht der Fahrer des Vehikels, das als Verkaufstruck über die Berge schnauft und bei jedem Stopp nach einem kräftigen Schluck Wasser verlangt. Zusammen mit seinem Beifahrer Darwin hat Juan den Oldie bis unter das Dach mit Säcken voller Maiskolben beladen, wie viele Tonnen der betagte Motor bewegen muss, mag man gar nicht wissen. Angeblich ist der Chevrolet Baujahr 1950. Vor über 20 Jahren, erzählt der Fahrer, sei der Motor gründlich überholt worden. Auch die Motorhaube des ehemaligen Busses scheint nicht original zu sein, sondern von einem jüngeren Modell zu stammen. Geschenkt, ein Nutzfahrzeug sollte in erster Linie funktionieren, nicht schön sein oder gar „originalgetreu“. 

 Das Thema Wartungsintervalle bekommt angesichts des Alters der Lastwagen und der anspruchsvollen Topographie eine ganz andere Bedeutung. Am Wochenende muss noch geschmiert werden, für viele Fahrer vergeht zudem selten eine ganze Woche, in der sie sich nicht um die Technik ihrer Trucks kümmern müssen. Auch José Florez bereitet zusammen mit seinem Sohn an einem Sonntag den alten CAT-Motor im Kenworth – Baujahr 1984 – für die kommende Woche vor. Der zehnjährige José-Jeffrey ist begeistert bei der Sache, wann immer es geht, begleitet er seinen Papa auf Tour. Der Kenny, der einem patrongehört, zieht einen Kippauflieger in einer für Kolumbien typischen Konfiguration: Die Mulde ist zweigeteilt und im vorderen Bereich als Seitenkipper ausgeführt. Die rückwärtige Hälfte kippt dagegen nach hinten ab. 350 Kilometer sei die durchschnittliche tägliche Fahrtstrecke, sagt José Florez. Bezahlt werde mit einem Festgehalt und Prämien je nach gefahrener Strecke. Dass die Frau oder die Kinder mit im Truck sitzen, ist in Kolumbien keine Seltenheit. Auch Andres hat seinen Sohn dabei. Vater und Filius sitzen in einem der gedrungenen Kipper, ebenso wie der Mack ein Oldtimer: Der Fiat 673 N aus dem Jahr 1980 macht noch einen fitten Eindruck, von dem Baumuster sieht man ganz allgemein noch viele Exemplare auf den Straßen des lateinamerikanischen Landes. Weniger gut schaut dagegen der Dodge von Kewin aus, der von seiner schwangeren Frau begleitet wird. Eine fidele Truppe belädt den vierzig Jahre alten Zweiachser mit zusammengeschweißten Eisenteilen – hoffentlich hören sie damit auf, bevor es dem Veteranen, mit dem Kewin über die Berge in Richtung Bogota fahren wird, zu viel wird. 

Die meisten Trucker beherrschen ihr Handwerk und meistern die engen, gebirgigen Straßen mit großer Gelassenheit und Präzision, auch wenn sie in bestimmten Abschnitten stundenlang kaum einmal über Tempo 30 hinaus kommen. So wie Cesar Correa, der seit 27 Jahren als Lkw-Fahrer arbeitet und seinen Truck kurz vor Bogotá noch einmal waschen lässt. Mit dem acht Jahre alten International macht der verheiratete Vater von zwei Kindern in der Woche rund 2000 Kilometer, er liegt also ungefähr im kolumbianischen Durchschnitt. Zu schaffen ist das für die Fahrer unter anderem auch, weil es keine Begrenzung der Lenkzeiten gibt: „Wir fahren so lange, wie es nötig ist oder wie wir können,“ sagt Cesar. Dann wird geschlafen – und zwar in einem Hospedaje oder Hotel. Trucks mit Fernverkehrs- bzw. Schlafkabinen gibt es in Kolumbien so gut wie nicht. Auch Correa weiß, dass der Beruf nicht ungefährlich ist, dass es viele Unfälle gibt. In Bezug auf die Verkehrsopfer weist das südamerikanische Land mit jährlich ca. 17 Toten pro 100.000 Einwohner einen ungefähr vierfach höheren Wert aus als Deutschland.

Schuld daran ist neben schlechtem technischen Zustand die generell anarchische Fahrweise, wobei sich die Busfahrer als besonders wahnwitzig hervortun. Man sieht jede Menge geschrottete Pkw, umgestürzte Lastwagen und immer wieder demolierte oder sogar ausgebrannte Busse. Und dann ist da noch dieser alte „Food“ (auf der Haube wurde das R mit einem O ersetzt), der aufgebockt vor einer der vielen Mautstationen steht. Der rechte Vorderreifen ist abmontiert und lässt einen Blick auf die armseligen Bremsbeläge zu, die teilweise völlig zerbröselt beziehungsweise nicht mehr vorhanden sind. „Das Radlager ist kaputt. Die Beläge sind kein Problem,“ meint der dunkelhäutige Mann, der bei dem Truck steht und angeblich nur der Mechaniker ist. „Die halten noch lange.“ Viele Lateinamerikaner bekreuzigen sich im Flugzeug vor dem Start – vielleicht sollte man das in Kolumbien auch tun, bevor man sich hinter das Lenkrad klemmt.