Dicke Muskeln

Im Süden Afrikas brauchen Lastwagenfahrer viel Geduld. Sie warten wochenlang an Grenzen oder, nach einem Unfall, tagelang auf den Kran. Einige nutzen die Wartezeit, um ihren Körper zu modellieren. Wir trafen die Trucker mit den gut definierten Muskeln im Norden Botswanas. 

Glücklicherweise ist der Truck weiß lackiert, sonst wäre er in der Abenddämmerung kaum auszumachen. Unbeleuchtet steht der Freightliner am Straßenrand. Immerhin haben die Fahrer Warndreiecke aufgestellt – keine fünf Meter vor und hinter ihrem Gespann, das ziemlich exakt in der Mitte der Fahrbahn steht. Weil hier links gefahren wird, ist es allerdings die falsche Straßenseite. Das warme Licht der untergehenden Sonne setzt noch ein kleines Spotlight auf irgendetwas, das neben dem Auflieger auf dem Seitenstreifen und im angrenzenden Gras liegt. Es ist ein zweiter Auflieger, den die Jungs von Celtic Freight auf ihrer Superlink-Kombination zusammen mit einem weiteren Trailer und einem dreiachsigen, halb gestrippten Truck transportiert haben. Und offenbar nicht ordentlich vertäut, denn wenn das Bild nicht täuscht, ist einer der verladenen Auflieger ins Rutschen gekommen und auf den Seitenstreifen gekippt. 

So weit, so normal im Süden Afrikas, wo derartige Missgeschicke fast schon alltäglich sind. Über einen schlecht beleuchteten Havaristen am Straßenrand oder Mängel bei der Ladungssicherung regt sich in Botswana kaum jemand auf. Völlig surreal wird das Bild allerdings beim neugierigen Blick hinter den heruntergefallenen Trailer: Da stehen zwei schwarze Jungs und vertreiben sich die Zeit mit – Gewichtheben. Ein altes Rohr dient als Hantelstange, an der auf jeder Seite vier rostige Zahnräder als Gewichte montiert sind. Eine primitiv zusammengezimmerte Holzbank vervollständigt die Einrichtung des Freiluft-Gyms. Offenbar machen die beiden Trucker – ein Dritter schaut sich das Ganze aus einigen Schritten Entfernung an – das nicht zum ersten Mal, ihre Körper sind mustergültig austrainiert und die Muskelpakete beachtlich. „Ja, wir warten auf den Kran, der den Auflieger wieder auf den anderen Trailer hebt,“ bestätigen sie mit einem Gesichtsausdruck der deutlich macht, dass es einerseits dauern kann, bis hier im Norden Botswanas ein geeigneter Mobilkran aufgetrieben ist, was sicher auch daran liegen könnte, dass erst geklärt werden muss, wer die Bergung wann bezahlt. Und dass sie andererseits gewohnt sind, auf irgendetwas zu warten. Auf die Ladung, auf den Zöllner, auf einen besseren Job, vielleicht auf ein besseres Leben oder eine andere Frau, die ihre Muskeln bewundert und möglicherweise sogar ein wenig mehr. Eine massive Kette liegt auf der Straße, der Gaskocher steht zwischen den Zwillingsreifen, Kochgeschirr, Küchenutensilien und Nahrungsmittel verteilen sich irgendwo auf Trittstufen und dem typischen Ami-Tank und wer aus Europa kommt und eine ungefähre Ahnung davon hat, wie Ladungssicherung einigermaßen sicher funktioniert, sollte nicht auf die beiden schmalen Gurte mit den vielen Knoten schauen, mit denen der alte Truck auf der Ladefläche des intakten Trailers verzurrt ist. 

Drei Tage später steht der havarierte Gespann immer noch auf der Straße, es hat sich keinen Zentimeter bewegt und der Kran ist offenbar immer noch nicht aufgetaucht. Diesmal hocken die Jungs in der Mittagshitze im Schatten unter dem Auflieger und warten nicht nur auf den Kran, sondern auch drauf, dass es am Nachmittag etwas kühler wird: Dann ist eine weitere Runde mit den Eisengewichten angesagt. 

Keine Frage, wer als Lastwagenfahrer in Afrika unterwegs ist, muss die Geduld aufbringen, warten zu können. Ungefähr 260 Kilometer nördlich der Stelle, an der die Gewichtheber auf der A 33 gestrandet sind, stoßen die vier Länder Botswana, Namibia, Zimbabwe und Sambia unweit der Stadt Kasane zusammen. Die Gegend ist ein Traum für Touristen, die Grenze ein Alptraum für die Fahrer, die hier oft drei Wochen lang im Stau stehen, ehe sie abgefertigt werden und weiterfahren können. Das Problem: Seit Jahrzehnten diskutieren die Anrainer einen Plan, die Abfertigung mit einer Brücke über den Sambesi-Fluss zu beschleunigen. Doch momentan stellt sich der greise Diktator Robert Mugabe quer. Der Kleptokrat, der das prinzipiell reiche Land Zimbabwe als persönliche Beute betrachtet und zu einem weiteren afrikanischen Armenhaus heruntergewirtschaftet hat, blockiert den Brückenbau, den die drei anderen Länder ohne ihn realisieren wollten. Angeblich, erzählen einige Fahrer, weil die Brücke den „Luftraum“ Zimbabwes tangiert (der allerdings nicht genau festgeschrieben ist), wofür Mugabe Geld haben will. Also werden die Trucker weiterhin beiderseits der Grenzen stehen, tage- oder wochenlang, dort ihre Wäsche waschen und am Scheibenwischer des Lkw aufhängen, sich von den Einheimischen einfache Nahrungsmittel oder stundenweise Zuneigung kaufen und vielleicht froh sein, dass sie wenigstens einen Job haben, der je nach Arbeitgeber besser oder schlechter bezahlt wird.

Eine lange Tagesreise südlich liegt Gaborone, die Hauptstadt Botswanas. Man sieht der Stadt an, dass sie zu einem gewissen Wohlstand gekommen ist, der im Wesentlichen auf Diamanten und Touristen gründet. Einige Transportbetriebe dort erzählen eine ganz andere Geschichte als die Desperados, die sich mit Krafttraining die Zeit vertreiben. Zum Beispiel die Trucks, die für das Familienunternehmen De Wet Drilling fahren oder die Flotte von De Vre Trans, sicherlich eines der Top-Unternehmen in dem südafrikanischen Land. 

Wenn man sich eine Stunde lang auf dem Firmengelänge von De Vre Trans umgesehen hat, ist es keine große Überraschung mehr zu erfahren, dass der Inhaber De Vrye van Dyk ein Marketingstudium erfolgreich abschloss, ehe er sich als Transportunternehmer selbständig gemacht hat. Die Information passt einfach zu diesem Betrieb, bei dem alles durchdacht, geplant, kontrolliert und bestens gepflegt zu sein scheint. Das einzige, was hier ungepflegt ist, ist die schlaglochgespickte unbefestigte Zufahrt zum Betriebsgelände, das gut einen Kilometer neben der wichtigsten Nord-Südachse Botswanas in einem Gewerbegebiet liegt. Aber für die Zufahrt kann der Firmenchef nichts, es ist eine öffentliche Straße, auch wenn man sich scheut, dieses staubige Stück festgefahrene Erde als Straße zu bezeichnen. 

Kommen die Fahrer des Unternehmens von ihren Touren zurück, greift ein strikter Arbeitsplan: Zuerst Alkoholkontrolle, gefolgt vom Check der Kabine, anschließend Auftanken (natürlich wird die Literzahl auf die Kommastelle genau registriert), dann rollt der Zug durch die Wash Bay, ehe Fahrzeuginspektion, Wartung und bei Bedarf Service das Programm abrunden. In der 63 Zugfahrzeuge starken Flotte von De Vre Transport fahren ausschließlich Schwedentrucks; die Volvos müssen nach 40.000 km zum Service, die Scania-Fahrzeuge 10.000 km früher. Auflieger werden jeweils zusammen mit den Motorwagen zum Service geholt. Seit 15 Jahren arbeitet De Vrye van Dyk nun schon so, und der Erfolg gibt ihm recht. Was hat den Marketing-Experten überhaupt in die Truckbranche getrieben, nachdem sein Vater dem Business den Rücken gekehrt hatte und Farmer geworden war, als der Junge noch zur Schule ging? „Ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war, in Botswana ein wirklich gut organisiertes Transportunternehmen zu etablieren.“ Ein wichtiger Faktor sind dabei die Fahrer. In dem Unternehmen haben nur Routiniers eine Chance, die schon einige Jahre Praxis nachweisen können und zudem die ersten drei Monate auf Probe arbeiten. Ein ausgeklügeltes System sorgt dafür, dass die Fahrer sorgfältig mit Treibstoff und Equipment umgehen: Wer so gut fährt wie „Jimmy“, den der Firmenchef als Beispiel auf dem Computerbildschirm heranzoomt, bekommt in einem Monat als Maximum 4000 Pula (knapp 370 Euro) Bonus extra und kann damit den Lohn knapp verdoppeln. 

Allerdings gibt es im Süden Afrikas Dinge, die selbst ein perfekt organisiertes Unternehmen nur schwer kalkulieren oder beeinflussen kann. Zwei seiner Fahrzeuge seien kürzlich in Südafrika abgefackelt worden, berichtet der Firmenchef: „Inzwischen haben die Fahrer große Angst, nach Südafrika zu fahren, für uns ist es in Zimbabwe oder Sambia deutlich einfacher. Südafrika wird immer gewalttätiger und die Kriminalität ist exorbitant. Ein Fahrer war in Krugersdorp unterwegs, als es dort wegen Problemen mit der Wohnungssituation zu heftigen Protesten kam. Der Grund für die Randale sind oft Kleinigkeiten, aber wenn der Mob auf der Straße ist, fragen die nicht lange und zünden auch Trucks an, die das Pech haben, gerade in der Nähe zu sein.“ Weil das ja keine landesweiten oder angekündigten Proteste oder Demonstrationen sind, lässt sich auch nicht vorhersagen, wann und wo es zu Ausschreitungen kommt. Wegen der Kriminalität werden übrigens Lkw, die Kupfererz aus den Minen in Sambia zur Verhüttung nach Südafrika transportieren, grundsätzlich von bewaffneten Begleitern im Fahrerhaus sowie in Begleitfahrzeugen eskortiert. Die Security fährt auch bei anderen heiß begehrten Ladungen – wie zum Beispiel Süßigkeiten – mit. 

Die de Wets wiederum haben ihr Geld mit Brunnenbohranlagen gemacht, im Süden des Kontinents ein gefragtes Geschäft. So verfügen in Botswana alle Dörfer über eigene Brunnen, auch viele Farmen lassen sich ihre eigenen Wasserquellen für Mensch und Vieh erschließen. Darüber hinaus gibt es in den Minen des Landes für die Bohrer jede Menge Arbeit. Die schweren Bohrgeräte werden von der eigenen Lkw-Flotte an den jeweiligen Einsatzort gebracht, wobei die Familie offenbar mit dem Pioniergeist gesegnet ist, der in vielen „unterentwickelten“ Ländern häufig anzutreffen ist und die einzige Möglichkeit darstellt, um in irgendwie schwierigen Situationen weiterzukommen. Auf dem riesigen Hof des Unternehmens knapp eine Fahrstunde nördlich von Gaborone stehen zahlreiche Oldtimer, die einerseits die Firmengeschichte erzählen und andererseits von der Cleverness zeugen, mit der vorhandenes Equipment für die schwierigen Bohrjobs im Outback angepasst wurde. 

Ein gutes Beispiel dafür ist ein SAMil-Hauber. Der nur noch gelegentlich eingesetzte Truck kommt ohne Emblem im Frontgrill aus und es dauert eine Sekunde, ehe Erinnerung anspringt. Der Hauber ähnelt doch... genau, den berühmten Magirus (später Iveco-) Haubern mit luftgekühltem Motor, die in Russland einen legendären Status besitzen, weil sie „geholfen haben, Sibirien zu erschließen,“ wie dort immer noch bewundernd zu hören ist. Während das Export-Geschäft mit der ehemaligen Sowjetunion auch bei uns weithin bekannt war, dürften wohl nur wenige Experten um den Deal wissen, den die europäische Truck-Schmiede mit dem damals weltweit geächteten südafrikanischen Apartheid-Regime geschlossen hat. Die robusten allradgetriebenen Nasen-Laster wurden dort in Lizenz gebaut und als SAMil 20, 50 bzw. 100 von der südafrikanischen Armee (SAMil steht für South African Military) eingesetzt. Den de Wets, die aus Holland stammen und inzwischen in 14. Generation im Süden Afrikas leben, war der Dreiachser SAMil 100 allerdings nicht ausreichend groß dimensioniert. Also wandelten sie den 6x6-Lkw in Eigenregie in eine 8x8-Variante um, mit einem zusätzlich eingebautem Durchtrieb von der hinteren Zwillingsachse zur hausgemachten vierten Achse. Heute machen die Mechaniker des Unternehmens einen Mittelklasse-MAN mit langem Radstand zur Sattelzugmaschine oder bauen passgenaue Auflieger für die Bohrgeräte.

„Petros ist unser bester Offroad-Fahrer,“ sagt Rudie de Wet, einer der drei Brüder, die das Unternehmen derzeit führen, über den 57-Jährigen. Seit 1984 sei er als Lkw-Fahrer unterwegs, sagt Petros Moremi über sich selbst, und dass er allmählich müde sei und ans Aufhören denke. Seit 30 Jahren arbeitet er jetzt bei der Familie de Wet, seit ungefähr 15 Jahren fährt er 8x8-Trucks. Ist er auch schon mal am Straßenrand gestrandet und musste tagelang auf Hilfe warten? „Ich hatte unterwegs noch nie ein größeres Problem mit meinen Fahrzeugen. Die werden bei uns grundsätzlich gut gewartet und für den Einsatz im Outback bestmöglich vorbereitet,“ erzählt Petros. Bis zu zwei Monate lang ist er mit seinen Kollegen irgendwo in der Wüste oder im Busch unterwegs, sie schlafen dann im Zelt und bekommen es mit Skorpionen, aggressiven schwarzen Mambas, Wildhunden, Hyänen, Büffeln, Löwen und anderen gelegentlich unfreundlichen Tieren zu tun, erzählt der altgediente Fahrer: „Du wachst am Morgen auf, gehst aus dem Zelt, siehst die Fußspuren von einem Löwen und wunderst dich, warum er weitergezogen ist, ohne dir was zu tun. Das ist unser Leben, wir sind es nicht anders gewohnt“

Truck Botswana